Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 10.07.2022
Darmprobleme habe ich schon seit Ewigkeiten. Aber in den ersten Jahren nach meinem Pfeifferschen Drüsenfieber 2009 ging es mit dem Darm so richtig bergab. Deshalb waren die ersten Ärzte, die ich aufsuchte, auch Gastroenterologen. Schnell standen die ersten Diagnosen: Fruchtzuckerunverträglichkeit, Milchzuckerunverträglichkeit, Reizdarm, Darmverwachsungen (wegen eines Unfalls).
Fruchtzucker und Milchzucker
Mein Ernährungsmarathon begann also mit dem zeitweiligen Verzicht auf Fruktose und Laktose – ganz brav unter Anleitung einer Ernährungsberaterin. Leider trotzdem
ohne bahnbrechende Verbesserungen. Es folgte die low-FODMAP-Diät, bei der man auf fermentierbare Kohlenhydrate verzichten muss, die zum Beispiel in Obst, Gemüse, Brot und
Milchprodukten stecken. Doch auch hier blieb der erhoffte Erfolg aus. Und ich gebe zu: Ich konnte damals nicht ganz auf Gluten verzichten, ich war damit überfordert.
Wenige Jahre später riet mir ein Arzt, mich „high protein, low carb“ zu ernähren – ohne weitere Einschränkungen. Ich stürzte mich auf Magerquark, Eier und Eiweißdrinks, weil ich Vegetarierin war
und kein Fleisch oder Fisch essen wollte. Auch die Diät brachte nichts. Im Gegenteil: mein Bauch wurde immer schlechter. Ich bekam nach jeder Mahlzeit furchtbare Magenschmerzen, mir war übel, ich
hatte jeden Tag Bauchkrämpfe, ich sah aus wie schwanger wegen meines Blähbauchs, ich wechselte zwischen Verstopfung und Durchfall. Ständig fühlte ich mich wie Magen-Darm-Infekt, also richtig
beschissen. Ich nahm ab, wurde schwächer, hatte ständig Unterzucker, mir ging es elendig.
Video und Podcastfolge zum Ernährungsmarathon:
Leaky gut
Im Internet stieß ich immer wieder auf das Leaky gut-Syndrom und dachte: das habe ich auch. Ich ließ dann einen Test machen, der positiv war (auch wenn dieser Test
unter Ärzten und Ärztinnen umstritten ist). Ob ich nun einen Leaky gut oder etwas anderes hatte, weiß ich nicht sicher, aber mein Darm war auf jeden Fall entzündet. Und ich hatte das Gefühl, dass
mein Darmimmunsystem auf immer mehr Lebensmittel mit einer Entzündung reagierte. Ich fing an Ernährungsbücher zu kaufen, mich mit
Funktioneller Medizin zu beschäftigen, die in den USA und Großbritannien verbreitet ist. Und ich fand viele Menschen mit ME/CFS, die mit den gleichen Problemen kämpften und von Leaky gut
schrieben.
Anfang 2019 wagte ich mich dann aus lauter Verzweiflung doch an den Glutenverzicht. Auslöser war der deutsche Forscher und Gastroenterologe Professor Detlef Schuppan, der bestimmte Inhaltsstoffe
in Weizen entdeckt hat, die sogenannten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI). Seinen Studien zufolge können die ATI (unabhängig von Gluten) chronisch entzündliche Krankheiten und
Autoimmunerkrankungen verschlechtern und ein Verzicht auf glutenhaltiges und damit ATI-haltiges Getreide diese Krankheiten teilweise deutlich verbessern. Auch ME/CFS. Bei manchen Menschen verschwinden auch die Reizdarmbeschwerden komplett. Sie haben dann vermutlich eine Nicht-Zöliakie-Weizenunverträglichkeit oder eine atypische
Weizenallergie.
Nudeln und Brot adé...
Glutenverzicht war ein großes Ding für mich als leidenschaftliche Brot- und Nudel-Esserin. Da mir die glutenfreien Brote und Nudeln nicht schmeckten und außerdem
unheimlich teuer waren, verzichtete ich auf Nudeln und begann, eigene Brot-Alternativen zu backen. Leider brachte auch der Glutenverzicht keine deutlichen Fortschritte in puncto Darm, dafür aber
in puncto Blutzuckerstabilisierung. Da ich auf mein allmorgendliches Semmel-Frühstück mit Marmelade verzichten musste, ließen auch die allmorgendlichen Blutzuckertiefs mit Heißhunger,
Magenschmerzen und Zittern deutlich nach.
Da mein Darm weiterhin ein Problem blieb und ich von so vielen Menschen gehört hatte, die durch krasse Ernährungsumstellungen so viel mehr Energie bekamen und keine Darmprobleme mehr hatten, ging
mein Ernährungsmarathon weiter. Im Sommer 2019 entschloss ich mich, es mit vegan zu probieren. Also neben Gluten auch auf Milch und Milchprodukte verzichten. Uff, das war echt schwierig. Kein
Quark mehr, kein Joghurt, kein Bergkäse (ich liebe Käse!), keine Butter, keine Eier. Aber nach zwei bis drei Wochen Verzicht ging es meinem Darm plötzlich besser. Ich schaffte es, aus dem ganz
tiefen Loch herauszukommen. Im Laufe der Wochen und Monate ließen die Magenschmerzen nach, die Übelkeit, das ständige Magen-Darm-Infekt-Gefühl. Ein Riesen-Fortschritt für mich. Ich denke, ich
habe auf Milcheiweiß reagiert. Das zeigte auch ein anderer Test an (Casein war im gelb-roten Bereich). Und ja, auch diesen Test empfehlen Ärztinnen und Ärzte für gewöhnlich nicht.
Von vegan auf Paleo auf Autoimmun-Paleo
Nun stellte sich aber ein anderes Problem ein: Eiweißmangel. Ein Arzt brachte mich darauf. Außerdem stellte er fest, dass ich zu wenig Eisen und Vitamin B12 hatte.
Wenn man vegan isst, muss man auf ausreichend Eiweiß achten, und zwar solches, das auch gut verdaut wird. Ich hatte wegen meiner Reizdarmbeschwerden kein gutes Verhältnis zu Hülsenfrüchten, die
aber gutes Eiweiß enthalten. Nach längeren inneren Diskussionen entschloss ich mich, es mit der Steinzeiternährung zu versuchen. Ja, von vegan auf Paleo.
Also Fleisch, Fisch, Eier, dafür kein Getreide, so wenig verarbeitete Lebensmittel wie möglich, kein Zucker, viel Gemüse, viel Obst, Nüsse, Samen. Ich fing sogar an, regelmäßig Bio-Knochenbrühe
zu trinken! Eigentlich unvorstellbar für mich. Mein Darm dankte es mir. Er erholte sich weiter. Seit gut einem Jahr ist mein Leaky gut weg. Mir hatten vermutlich einige Nährstoffe gefehlt und
vielleicht auch die Aminosäure Glutamin, die für die Darmschleimhaut wichtig ist.
Ich steigerte mich sogar auf die sogenannte Autoimmun-Paleo-Diät (Bücher von Dr. Amy Myers und Dr.
Terry Wahls sind hier hilfreich, oder nach "Paleo Mom" suchen), weil sie das Immunsystem in Balance bringen soll und Autoimmunkrankheiten stoppen kann. Sie war mir aber zu strikt, weshalb ich sie
bald wieder abbrach. Auch Paleo hielt ich auf Dauer nicht durch. Ich hatte ständig Hunger, nahm weiter ab, mein Körper kam mit der stark eingeschränkten Kohlenhydratzufuhr nicht klar. Allerdings
hatte ich mehr Energie und meine Muskeln wurden ein wenig stabiler. Ich begann, wieder Lebensmittel einzuführen, aß wieder etwas mehr Kohlenhydrate, zum Beispiel Pseudogetreide wie Quinoa und
Buchweizen.
Fasten: Gar nicht gut für mich
Immer wieder las ich, dass Menschen mit ME/CFS und Autoimmunkrankheiten große Erfolge mit Fasten erzielten. Natürlich musste ich das auch testen. Nach einem Tag
Fasten war ich kurz vorm Zusammenbrechen und musste abbrechen. Mein Körper war zu schwach für Fasten, mein Stoffwechsel zu sehr aus dem Ruder. Ein Arzt riet mir, die sogenannte Fasting-Mimicking-Diet nach Professor Valter Longo auszutesten. Das könnte das Immunsystem wieder in Balance
bringen.
Drei ganze Tage hielt ich diese eigentlich moderate Form des Fastens durch. Dann dachte ich nachts, ich muss sterben und den Notarzt rufen. Mein Blutzuckermessgerät verriet: Blutzucker war bei 48
mg/dl. Es war echt brenzlig! Man kann ins Koma fallen und wirklich sterben. Also sofortiger Abbruch. Für mein Nervensystem war dieser Ausflug ein derartiger Trigger, dass ich seitdem extrem
sensibel auf ein Absinken des Blutzuckers reagiere. Mein Nervensystem antwortet sofort mit einem Adrenalinschuss, besonders gerne nachts zwischen 1 und 3 Uhr. In meinem Fall war Fasten also
kontraproduktiv und ich habe gelesen, dass es für Menschen mit Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems nicht empfohlen wird.
Der Marathon geht weiter
Mein Marathon ging weiter. Allerdings etwas entspannter, weil ich schon viel gelernt und erste Erfolge hatte. Eine Zeit lang ernährte ich mich nach der
Pegan-Diet von Dr. Mark Hyman, der dazu ein Buch geschrieben
hat. Eine ausgewogene Ernährungsform, die ich grob immer noch beibehalte.
Dann stieß ich auf die Adrenal-Reset-Diet von Dr. Alan Christianson. Damit sollte man seine
geschwächten Nebennieren wieder in den Griff bekommen. Teile davon haben mir wirklich sehr geholfen, meinen Blutzucker weiter zu stabilisieren und morgens nicht sofort ins nächste
Erschöpfungsloch zu fallen. In seinem Buch gibt Christianson weitere Tipps, was den Nebennieren helfen kann.
Für mich war das Wichtigste: Morgens sehr wenig Kohlenhydrate und wenn, dann nur komplexe langsam verdauliche, und viel Eiweiß. Mittags unbedingt ein paar Kohlenhydrate und Eiweiß essen, also zum
Beispiel nicht nur Suppe oder Salat. Und abends die größte Menge an Kohlenhydraten und wieder Eiweiß. Das widersprach allen Empfehlungen, die ich vorher gelesen oder gehört hatte. Aber mir hilft
es, mein Körper will Kohlenhydrate und kann Fett nicht so gut als Energiequelle nutzen wie ich es gerne hätte. Das hängt bei mir mit den geschwächten Nebennieren und der fehlgesteuerten HPA-Achse
zusammen.
Mein Reizdarm blieb mir trotzdem erhalten. Vorerst letzter Versuch einer neuen Ernährungsform: die sogenannte IBD-AID-Diet.
Das ist eine Variante der Specific Carbohydrate Diet (SCD), die einigen Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa hilft. Die Unversity of
Massachusetts hat diese Variante entwickelt und ich fand sie sehr hilfreich. Der größte Clou war für mich, viele Mahlzeiten zu pürieren. Das konnte mein Darm wesentlich besser verdauen und ich
war länger satt. Seitdem ist mein Hochleistungsmixer fast täglich im Einsatz und den ersten habe ich auch schon geschrottet.
Ernährung heute
Inzwischen sehe ich Ernährung viel entspannter und ich esse wieder viel mehr Lebensmittel. Ich achte darauf, möglichst oft Bio zu kaufen, wenig verarbeitete
Lebensmittel zu essen, viel selbst herzustellen, reichlich Gemüse zu verzehren und auch Obst. Ich erlaube mir wieder etwas Hafer, Quinoa, Kartoffeln, Bohnen, Linsen, Tofu. Außerdem wichtig für
mich: nachmittags ein Snack. Ich verzichte weiterhin auf Gluten (okay, neulich gab es ein Stück Kuchen und ich bin nicht daran gestorben), Milchprodukte, Zucker (mit kleinen Ausnahmen) und
Kaffee.
Ach richtig, Kaffee war für mich auch ein großes Thema. Ich liebe Cappuccino und Latte Macchiato. Aber da ist drin: Kaffee und Milch. Blöd. Milch konnte ich durch Hafermilch ersetzen (schmeckt
super!). Aber das Koffein regte mich zu sehr an. Es triggert den aktivierenden Teil des autonomen Nervensystems, den Sympathikus. Und der ist bei mir ohnehin überaktiv. Das wiederum belastet die
Nebennieren unnötig. Ich bekam nach jedem Kaffee totales Zittern, Magenschmerzen, Schwindel, Schweißausbruch, etc... Schweren Herzens habe ich deshalb Kaffee gestrichen. Zum Glück vertrage ich
entkoffeinierten Kaffee mit Hafermilch - aber es gibt nur eine kleine Tasse nachmittags und auch nur zwei bis dreimal pro Woche.
Tipps
Ernährung ist etwas sehr Individuelles! Was mir hilft, muss dir nicht helfen – und umgekehrt. Du kannst ganz andere Lebensmittel nicht vertragen wie ich. Deshalb
musst du selbst zum Detektiv werden. Allgemein ist es aus meiner Sicht aber sinnvoll, auf die ganzen stark verarbeiteten Lebensmittel zu verzichten, Limonaden zu streichen, viel verschiedene
Gemüse- und Obstsorten zu essen, mit einer Betonung auf Gemüse. Iss den Regenbogen, nimm grüne Blattgemüse zu dir, Kohlsorten sowie bunt gefärbtes Gemüse und Obst.
Verwende langsam verdauliche und komplexe Kohlenhydrate aus vollem Korn, Hülsenfrüchten, etc. und meide die schnell verdaulichen aus Weißmehl, Süßigkeiten, Säften und Limonaden. Versuche mal zwei
bis drei Wochen testweise auf Gluten und Milchprodukte zu verzicht
en, da sie bei vielen Menschen Beschwerden bereiten. Versuche auch mal, Kaffee für denselben Zeitraum zu meiden. Merkst du irgendwelche Unterschiede?
Wichtig: Die Aussagen in diesem Text sind das Ergebnis meiner Recherchen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Fachartikeln, Büchern, Kursen, Aus- und
Weiterbildungen sowie meines eigenen Genesungsprozesses. Ich habe bestmöglich recherchiert, erhebe aber dennoch keinen Anspruch auf Richtigkeit. In der Wissenschaft gilt etwas solange als
Hypothese, bis es eindeutig belegt (oder widerlegt) ist. Das ist dann Evidenz, ein Fakt. Die Aussagen in diesem Text sind eine Kombination aus Hypothesen und Fakten.
Die Inhalte auf dieser Seite dienen außerdem nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Bitte sprich mit deiner Ärztin, deinem Arzt oder
Therapeuten, bevor du Entscheidungen triffst, die deine körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Jeder Weg in ein Mind-Body-Syndrom ist etwas Individuelles, und jeder Weg
heraus.