Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 22.05.2023
Long Covid ist eine neue Epidemie. Weltweit sind Schätzungen zufolge rund 65 Millionen Menschen betroffen. Über 200 verschiedene Symptome wurden beschrieben – eines der häufigsten ist Erschöpfung. Die meisten Menschen erholen sich wieder innerhalb von wenigen Wochen von ihren Long Covid-Beschwerden. Ein Teil ist nach drei Monaten immer noch nicht wieder auf den Beinen. Hier sprechen Ärzte und Ärztinnen vom Post-Covid-Syndrom. Wer nach mehr als sechs Monaten immer noch Symptome hat und die weiteren Kriterien erfüllt, kann die Diagnose ME/CFS gestellt bekommen. Als einer der größten Risikofaktoren für Long Covid gilt Stress. Wie kommt man da wieder heraus?
1. Von A bis Z durchchecken lassen
Der wichtigste erste Punkt ist aus meiner Sicht: Je nach Art der Symptome gründlich von A bis Z durchchecken lassen und die relevanten Fachärzte und Fachärztinnen
aufsuchen. Es ist schließlich bekannt, dass Covid-19 auch zu Organschäden führen kann, zum Beispiel an Lunge, Herz oder Nieren. Zum anderen können zahlreiche andere Krankheiten ähnliche Symptome
auslösen.
Wurden andere potenzielle Ursachen ausgeschlossen und keine relevanten strukturellen Schäden an Organen oder Geweben gefunden, lag eine Covid-19-Infektion vor und passt das Beschwerdebild, dann
handelt es sich aus meiner Sicht bei Long Covid um ein Mind-Body-Syndrom: Chronischer Stress, Traumata und belastende Kindheitserfahrungen hatten Gehirn, Geist, autonomes Nervensystem und Körper
im Vorfeld schon in Schieflage gebracht. Das Virus hat das Fass dann zum Überlaufen gebracht. Stress und Traumata wirken sich körperlich, geistig, emotional und auf der Verhaltensebene aus. Der
ganze Organismus hängt nun im Überlebensmodus fest. Mehr dazu im Blog-Post „Wie Stress und
Traumata das Gehirn und Nervensystem verändern“ und in der Strategie „Wissen aneignen“.
Wurden bei dir Organschäden nachgewiesen, dann verstehe diesen Artikel bitte nur als Zusatz zu allen schulmedizinischen Maßnahmen und Therapien! Mehr Infos dazu in der deutschen Ärzteleitlinie
zum Post-Covid-Syndrom:
https://register.awmf.org/assets/guidelines/020-027p_S1_Post_COVID_Long_COVID_2023-02.pdf
(Patient:innenversion)
2. Pacing: Kenne dein Limit
Pacing heißt soviel wie „Kenne deine Limit“. Menschen mit ME/CFS kennen diesen Begriff meistens sehr gut. Vielleicht hast du davon auch schon gehört oder machst das
schon. Inzwischen wenden auch mehr und mehr Reha-Kliniken Pacing an. Und sogar die deutsche Ärzteleitlinie empfiehlt es.
Pacing heilt dich nicht von Long Covid, aber es kann sehr hilfreich sein, um deinen Zustand zu stabilisieren. Es ist ein Weg, mit dem du deine tägliche Energie einteilen kannst und mehr Kraft für
die ganzen Dinge hast, die dir zur Genesung verhelfen. Die wichtigsten Eckpunkte zu Pacing sind aus meiner Erfahrung:
- Die größten täglichen Energieräuber finden. Nicht nur körperliche Aktivität kostet Energie, sondern auch emotionale und geistige sowie Umweltreize.
- Planen: Auf welche Energieräuber kannst du verzichten, welche musst du erledigen? Was musst du heute erledigen, was diese Woche? Wann hast du am meisten Energie? Mach dir einen Plan und teile dir so die Energie ein.
- Prioritäten setzen. Was ist heute am wichtigsten? Was kann warten?
- Hilfe annehmen: Ja genau, nimm Hilfe in Anspruch! Springe über deinen eigenen Schatten. Du kannst jetzt nicht alles alleine schaffen. Dir fehlt die Energie. Du brauchst die derzeitige Energie für deine Genesung. Jeder, der dir helfen möchte, sollte dir helfen dürfen. Auch wenn dieser Mensch das dann nicht perfekt macht. Es ist gut genug. Deine Priorität ist jetzt deine Genesung!
3. Persönliche Inventur deiner Lebensgeschichte
Wie anfangs schon erwähnt, führen chronischer Stress, Traumata und belastende Kindheitserfahrungen zu Mind-Body-Syndromen wie Long Covid (ohne Organschäden). Es
wird also vermutlich wichtig sein, eine persönliche Inventur zu machen.
Welche Stressfaktoren spielen derzeit eine Rolle in deinem Leben und welche gab es in der Vergangenheit? Zum Beispiel: Zeitdruck, hohe Anforderungen und wenig Handlungsspielraum in der Arbeit,
Beziehungskonflikte, ungesunder Lebensstil, viele Verpflichtungen, Krankheitserreger, Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, es allen recht machen wollen oder nicht Nein sagen können.
Gab es traumatische Erlebnisse in deinem Leben? Zum Beispiel: Krieg, emotionaler, sexueller oder körperlicher Missbrauch, schwere Verletzungen, Unfälle, Naturkatastrophen, aber auch das
Gefühl, nicht geliebt worden zu sein, sich verlassen und nicht gewollt gefühlt zu haben.
Psychotherapie ist oft sehr hilfreich, um sich durch dieses Thema durchzuarbeiten.
4. Herausfinden, was anderen Genesenen geholfen hat
Von unschätzbarem Wert sind die Erfolgs- und Genesungsgeschichten anderer Menschen! Von ihnen kannst du dich inspirieren lassen, was ihnen geholfen hat. Oft sind
diese Menschen auch bereit, auf Fragen zu antworten oder Tipps zu geben. Manche bieten auch Coachings an.
Hier ein paar Long Covid-Genesungsgeschichten:
Auf meiner Seite:
https://www.ich-werde-gesund.com/2023/03/04/franziskas-long-covid-genesung/
Rebecca Tolins Kanal:
https://www.youtube.com/watch?v=nUNHl8OqHOw&t=40s
Raelan Agles Kanal:
https://www.youtube.com/watch?v=ZFLQIxzEMM8
Michelle Wiegers Kanal:
https://www.youtube.com/watch?v=JaRAojcqM_Q&t=5s
Leonie Försters Kanal:
https://www.youtube.com/@healwithleo
Liz Carlsons Kanal:
https://www.youtube.com/watch?v=9zh8ejYByf4&t=38s
Our Power is Within Podcast:
https://open.spotify.com/episode/0C2HOBBL5QAizVWbc8P5jR
The Cure for Chronic Pain Podcast:
https://open.spotify.com/episode/7JwJvbhAsZA94nJGcvKBHC
Superhelden ohne Cape Podcast:
https://open.spotify.com/episode/272MU9hbothJG3jMFxrocz
5. Ganzheitlicher Blick auf deine Genesung
Was bringt dich nun auf den Weg in Richtung Genesung? Aus meiner Sicht ein ganzheitlicher Blick. Inwiefern könnten Stress oder andere Erlebnisse aus deiner
Vergangenheit dazu beigetragen haben, Long Covid zu bekommen? Was macht Long Covid seelisch mit dir? Und was würde sich daran ändern, wenn du wüsstest „Ich werde wieder gesund. Das haben so viele
geschafft. Ich schaffe das auch“? Wie sieht dein Lebensstil aus? Wie ernährst du dich? Wie geht es deinem Darm? Verschaffe dir da einen Überblick und schaue, was du selbst eventuell ändern kannst
und wo du Hilfe in Anspruch nehmen kannst.
Da das Post-Covid-Syndrom (ohne strukturelle Schäden) aus meiner Sicht eine Form des Mind-Body-Syndroms ist, liegen deine Beschwerden wie schon erwähnt vermutlich an einem Gehirn und autonomen
Nervensystem im Überlebensmodus. Neben den eben genannten Faktoren ist der Schlüsselfaktor zur Genesung daher: dein Gehirn und Nervensystem wieder in Balance zu bringen. Raus aus dem
Überlebensmodus, rein in eine gesunde Balance, in den Heilungsmodus. Dann heilt sich dein Körper selbst. Gehirntraining und innere Arbeit sind dafür meistens unerlässlich. Mehr dazu findest du in meinen Genesungsstrategien.
Wichtig: Die Aussagen in diesem Text sind das Ergebnis meiner Recherchen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Fachartikeln, Büchern, Kursen, Aus- und
Weiterbildungen sowie meines eigenen Genesungsprozesses. Ich habe bestmöglich recherchiert, erhebe aber dennoch keinen Anspruch auf Richtigkeit. In der Wissenschaft gilt etwas solange als
Hypothese, bis es eindeutig belegt (oder widerlegt) ist. Das ist dann Evidenz, ein Fakt. Die Aussagen in diesem Text sind eine Kombination aus Hypothesen und Fakten.
Die Inhalte auf dieser Seite dienen außerdem nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Bitte sprich mit deiner Ärztin, deinem Arzt oder
Therapeuten, bevor du Entscheidungen triffst, die deine körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Jeder Weg in ein Mind-Body-Syndrom ist etwas Individuelles, und jeder Weg
heraus.