Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 08.07.24
Wichtige Hinweise vorab:
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Welchen Zweck hat die Baseline?
Aus meiner Sicht ist das wichtigste Ziel der Baseline: Nicht mehr die ganze Zeit im „Push-Crash-Zyklus“ feststecken und seltener eine Zustandsverschlechterung bekommen, also die „Post Exertional Malaise“, kurz: PEM. Es geht bei der Baseline also darum, den Zustand zu stabilisieren.
Baseline aus Pacing-Sicht
Das Wort Pacing kennen sicher die meisten Menschen mit ME/CFS oder Long Covid. Es ist die
inzwischen auch schulmedizinisch etablierte Methode, um eine PEM zu minimieren.
Beim Pacing geht es im Prinzip darum, die Dinge zu identifizieren, die am meisten Energie fressen. Und zwar körperlich, emotional, geistig und aus der Umwelt. Und diese Dinge dann wohl zu
dosieren – mit einem Zyklus aus Pause und Aktivität. Planen, Prioritäten setzen und Hilfe annehmen sind dabei oft unerlässlich.
Baseline aus Nervensystem-Sicht
Man kann das Thema Baseline auch aus Sicht eines fehlregulierten Nervensystems angehen. Hier liegt der Fokus aus meiner Sicht darauf, zu erkennen, was einem alles
in den Überlebensmodus versetzt. Man kann auch Stressmodus sagen.
Das autonome Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus (Vagus), kann in einem gesunden Zustand vorliegen und in einem ungesunden. Letzteren bezeichne ich als Überlebensmodus.
Wann immer man merkt, dass etwas Stress im System auslöst und einem in den Überlebenszustand versetzt, beruhigt man sich und macht etwas langsamer, hört mit der Aktivität auf, ruht sich aus, etc.
Auch so stabilisiert sich der Zustand auf Dauer.
Welcher Ansatz ist besser?
Das Problem beim Pacing ist aus meiner Sicht oft: Pacing kann wirklich helfen, den Zustand zu stabilisieren. Aber es passiert leicht, dass man immer mehr Dinge
vermeidet – aus Angst, sie könnten wieder Symptome machen und den nächsten Crash auslösen. Auf Dauer verstärkt das nur noch die Angst, verursacht ungemein viel Stress und Selbstvorwürfe, und
schränkt das Leben immer mehr ein – teilweise mehr als nötig. Und es kann einem da halten wo man ist. Und davon abhalten, sich langsam und wohl dosiert wieder mehr zuzutrauen.
Das Gleiche kann aber auch passieren, wenn man darauf achtet, wann man in den Überlebensmodus geht, welche Dinge dies
also auslösen. Ganz schnell können sich Vermeidungsstrategien einschleichen und man beäugt ängstlich alles, was einem stressen könnte und damit wieder eine PEM verursachen könnte.
Mein Fazit daher: Bei beiden Ansätzen kommt es auf das „wie“ an. Es ist ein wichtiger erster Schritt auf deiner Genesungsreise, eine Art Baseline zu etablieren, deinen Zustand also etwas stabiler
zu machen. Dann hast du mehr Kraft und Energie, dich mit weiteren Dingen zu beschäftigen, die zu deiner Genesung beitragen.
Im Idealfall kombinierst du den Pacing- und den Nervensystemansatz – und zwar mit der richtigen mentalen Herangehensweise. Mache dir bewusst, was am meisten Energie kostet und dich schnell in
Stress versetzt. Dosiere diese Dinge dann durch Planen, Priorisieren, Unterstützung, einem Zyklus von Pause und Aktivität. Beruhige dich außerdem immer, wenn dich etwas stresst. Und: Mache dir
nicht zu viel Stress damit! Keine Panik vorm nächsten Crash! Nicht die Angst regieren lassen! Und keine Selbstkritik, wenn du doch wieder eine PEM bekommst. Lieber akzeptieren, gut für dich
sorgen und etwas daraus lernen.
Wichtig: Die Aussagen in diesem Text sind das Ergebnis meiner Recherchen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Fachartikeln, Büchern, Kursen, Aus- und
Weiterbildungen sowie meines eigenen Genesungsprozesses. Ich habe bestmöglich recherchiert, erhebe aber dennoch keinen Anspruch auf Richtigkeit. In der Wissenschaft gilt etwas solange als
Hypothese, bis es eindeutig belegt (oder widerlegt) ist. Das ist dann Evidenz, ein Fakt. Die Aussagen in diesem Text sind eine Kombination aus Hypothesen und Fakten.
Die Inhalte auf dieser Seite dienen außerdem nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Bitte sprich mit deiner Ärztin, deinem Arzt
oder Therapeuten, bevor du Entscheidungen triffst, die deine körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Jeder Weg in ein Mind-Body-Syndrom ist etwas Individuelles, und jeder Weg
heraus.